Zwangsarbeit im Rhein - Neckar - Raum. Ein Projekt an der IGMH

      


Orte der Zwangsarbeit
  Herkunft der Deportierten     Informationen zum Projekt  
Mannheim
Schlossgarten-Lager
Diesterwegschule 1
Diesterwegschule 2
Tagebuch Andersen 1
Tagebuch Andersen 2
Tagebuch Andersen 3
Tagebuch Andersen 4
Tagebuch Boyer
Tagebuch Cléret
Tagebuch André Humbert
Eppelheim
Heidelberg Altstadt
Heidelberg-Haarlaß
Heidelberg-Kirchheim
Heidelberg-Lärchengarten
Heidelberg-Maßholder
HD-Pleikartsförsterhof
Heiligkreuzsteinach
Ilvesheim
Leimen
Neckargemünd
Schönau 1
Schönau 2
Schönaubesuch
Schwetzingen
Sinsheim
Viernheim
Wieblingen
Tagebuch Gasser
Tagebuch Ledoux
Tagebuch Vouaux
Allgemein:
Startseite
     
     

Tagebuch Boyer

 

 

     



Jean Boyer

Tagebuch aus Mannheim

 



Geboren in Saint-Dié, wo er bis heute lebt.




     

Verschleppung aus Saint-Dié

Am Donnerstag den 8. November:
Befehl der Gestapo über Lautsprecher in der ganzen Stadt - Versammlung aller Männer zwischen 16 und 55 Jahren in der Chérin-Kaserne, jeder sollte für 3 Tage Lebensmittel mitbringen. Zweck: einige Kilometer von St.Dié entfernt Gräben ausheben.
Wir verließen Staint-Dié am frühen Nachmittag eingekreist von der Gestapo und wir waren unterwegs auf der Straße nach Ste. Marguerite - Remomeix - Frapelle und Lesseux (Rast), dann Lusse, wo wir gegen 18 Uhr 30 im Regen ankamen. Die Strecke St.Dié - Lusse bedeutete etwa 20 km.
In Lusse ließ man uns in eine Textilfabrik hineingehen. Die Leute vom Dorf sind gekommen, um uns warme Getränke zu bringen, obwohl das von der Gestapo verboten worden war. Wir hatten dort die beiden ersten Gruppen wiedergefunden, die schon am Morgen abmarschiert waren. 

Wir stellten uns die Frage: Was hat man mit uns vor?

 

Gegen Mitternacht kam der Befehl aufzustehen, unser Gepäck zu nehmen und herauszukommen. Es ist sehr kalt. Wir gehen vor den deutschen Aufsehern vorbei, die uns ein Brot auf zwei Personen austeilt. In der ganz dunklen Nacht gehen wir zum Bahnhof von Lesseux. Da erwartet uns ein Zug. Wir steigen in die Wägen wie Hunde, die Deutschen schließen die Türen mit dem Schlüssel ab.


Am nächsten Morgen um 7 Uhr sind wir in Straßburg und wir überqueren den Rhein. Adieu Frankreich, für wie lange Zeit?

      Ankunft in Mannheim

Richtung Rastatt -Karlsruhe und Mannheim Hauptbahnhof gegen 16 Uhr. Die Gestapo hat uns begreiflich gemacht: "Nach Dachau!" Aber glücklicher Weise wird für uns der Zug nicht weiterfahren.
Wir bleiben also in Mannheim, für die Mehrzahl von uns bedeutet das, in der deutschen Schwerindustrie arbeiten zu müssen.
Nachdem wir aus dem Zug ausgestiegen sind, werden wir in eine Kaserne [ vielleicht Kurfürst - Friedrich - Gymnasium] geführt, wo sich schon die beiden Konvois befinden, die uns vorangegangen waren. Wir sind dort ungefähr eine halbe Stunde geblieben, um uns dann aufzuteilen, dann in Richtung Diesterwegschule.
Diese Schule ist einigermaßen beschädigt durch Bombardements. Zweistöckige Pritschen, ein Strohsack als Matratze und Wanzen, die überall darüber hinweglaufen. Ich werde dem Zimmer 14 zugewiesen. Wir sind ungefähr 400 Mann in diesem Lager.

Diesterwegschule heute

     

November 1944

11. November 1944
Alle Deportierten des Lager haben an den Tag des Waffen- stillstandes nach dem Krieg 1914/1918 gedacht.
12. November
Wir werden aufgerufen, um in der Fabrik Lanz zu arbeiten, die ganz nach bei unserem Lager liegt.
Ein deutscher Meister nimmt unsere Namen und unseren Beruf auf. Ich gehe mit ihm in eine Fabrikhalle und werde beauftragt drei Maschinen zu überwachen, die Getriebe produzieren.


Ein anderer Deportierter ist zusammen mit mir unter die Aufsicht eines deutschen, sehr strengen Arbeiters gestellt, der nur mit uns gestritten hat.
Für mich war die Fabrik etwas ganz Neues.

Der Tagesablauf in der Fabrik:
Wecken um 6 Uhr - in die Fabrik um 7 Uhr bis um 17.30
Eine halbe Stunde Mittagspause mit dem Mittagessen.
Oft machen wir Schicht von 6 Uhr bis 14 Uhr
von 14 Uhr bis 22 Uhr
von 22 Uhr bis 6 Uhr
Das Essen, das in der Kantine von Lanz serviert wird:
mittags: "Stamm"
abends: Suppe, 200 Gramm Brot

19.November
Die Wachleute haben uns ins Kino geführt, um einen Film über das "Großdeutsche Reich" zu sehen.
Am Nachmittag habe ich bei einer Messe in dem Haus der Nonnen assistiert und ich bin Jean Bourdon begegnet, dem nationalen Leiter der J.O.C., der freiwillig hergekommen ist, um jungen Franzosen beizustehen.
     

Dezember 1944

4.Dezember: Auf Befehl habe ich einen Tag lang in der Nähe des Lagers gearbeitet, um wegen Bombardements ein Gebäude aufzuräumen.

5.Dezember: Große Bombardements auf die Stadt.

7.Dezember: Mein Kamerade Emile Bauer hat das Lager verlassen, um nach Düsseldorf [ =wohl Lager Düsseldorfer Straße in Rheinau ] zur Organisation Todt überstellt zu werden.

11.Dezember: Bombardierung der Stadt, die Bomben sind 100 Meter von unserem Lager entfernt auf die Lanz-Fabrik gefallen. Die Werkstatt, wo ich arbeite, ist vollkommen zerstört.

12. Dezember: Mit einer Gruppe bin ich zu Aufräumungsarbeiten bei Privatleuten.

15.Dezember: 18 Uhr 30 Bombardement auf Mannheim und Ludwigshafen. Bomben sind in den Neckar gefallen.


16. und 18. Dezember: Mit mehreren Deportierten zusammen haben wir bei ausgebombten Privatleuten gearbeitet. Wir haben Glaserarbeiten gemacht.

Sonntag 17.Dezember: Religiöse Vorbereitung auf Weihnachten durchgeführt von Francois Chamard. Zu zehnt haben wir Deportierten uns dazu getroffen.

Sonntag 25.Dezember: Französische Messe um 10 Uhr 45 bei den Nonnen, von J.Bourdon erhalten, um mit der ganzen Stube Weihnachten zu feiern: eine Flasche Wermut und ein Kuchen.

28. Dezember: Zum ersten Mal ist Schnee gefallen.

29.Dezember: Flucht von 12 Deportierten aus dem Lager.

31.Dezember: Der Schnee fällt im Überfluß.
18 Uhr 30 Bombardement durch Jagdflugzeuge, zwei Bomben sind 300 Meter vom Lager entfernt gefallen. Dann hat eine zweite Welle etwa 20 Bomben geworfen.
     
Januar 1945
2. Januar 1945
Zwangsverpflichtet, um Gräben in Neckarau zu graben. Es ist sehr kalt.
Bombardement von Mannheim und Ludwigshafen zwischen 18 Uhr 30 und 20 Uhr 30.

6. Januar
Ich bin mit anderen auf den Flugplatz geschickt worden, um Gräben zu graben.
(Ich erinnere mich nicht mehr an den Namen des Flugplatzes.)

7. Januar
Ich habe meiner Familie geschrieben über die Vermittlung des Französischen Roten Kreuzes.
(Der Brief ist niemals an seinem Bestimmungsort angekommen.)

14. Januar
Neue Bombardierung der Stadt.

18. Januar
Wir haben von einer religiösen Gemeinschaft, wo manche von uns sich ohne Wissen der Wachleute heimlich getroffen hatten, für das Zimmer ein Paket bekommen, das enthielt:
ein Stück Kuchen, ein Stück Torte, ein Päckchen Kekse, drei Scheiben eines Gewürzbrotes, einige Bonbons, ein kleiner Laib Butter und eine Flasche Wein.

20. Januar
Großes Bombardement auf die Stadt, nach dem Radio haben 80 viermotorige Flugzeuge in vier Wellen Mannheim überflogen.
Nach dem Bombardement sind wir alle an das Rheinufer gegangen und haben einige Kilos Fische eingesammelt, die durch die Bomben getötet worden sind.

21. Januar
Neues Bombardement auf die Stadt und das bis jetzt umfangreichste.
Die Lanz-Fabrik ist vollkommen zerstört.
m Lager kein Wasser und keine Elektrizität mehr.
Februar bis März 1945
1. Februar
Ich habe 100 Mark für die Arbeit bekommen.
Neues Bombardement morgens zwischen 11 Uhr 45 und 12 Uhr 30, abends zwischen 19 Uhr und 20 Uhr.
Alle Häuser in der Umgebung sind zerstört. Unser Lager hält sich gut trotz einiger Schäden durch Luftminen und Phosphorstabbomben.
Nach dem deutschen Radio haben 1500 Maschinen die Stadt überflogen. Der Güterbahnhof ist zerstört, ebenso der Hauptbahnhof.

6. Februar
Da wir nicht mehr in der Lanz-Fabrik arbeiten können, werde ich mit anderen Deportierten auf den Flugplatz geschickt. um dort den Schnee wegzuräumen.
Wir haben nichts zu essen, in diesem Lager gibt es nur einen Brotlaib für 10 Männer.

9. bis 15. Februar
Aufräumungsarbeiten bei ausgebombten Privatleuten.
17. Februar
Neuer Bombardement auf die Stadt.

1. März
Bombardement. Der deutsche Rundfunk kündigt 1200 Bombenflugzeuge auf Mannheim und Ludwigshafen an.
[Hier endet mein Tagebuch]

Das Lager Diesterwegschule wurde auf Befehl der Gestapo in Gruppen evakuiert in Richtung Osten. Die amerikanischen Truppen hatten Ende März den Rhein überschritten.
Wir waren von Angestellten der Reichsbahn bewacht, die nicht mehr recht wussten, wo sie uns hinbringen sollten.
Am 13.April wurden wir durch die amerikanische Armee in Heidelberg befreit. Wir sind dann noch einige Tage in dieser Stadt geblieben, dann repatriiert über Saarbrücken, Metz, Epinal.
In Epinal sind wir durch eine medizinische Kontrolle gegangen und dann zurück nach St.Dié.
     

 

Anmerkungen von Jean Boyer:

     

Jean Bourdon war kein Mannheim-Deportierter. Dieser junge Mann, damals aus Paris kommend, ist heimlich nach Deutschland gegangen und besonders nach Mannheim, indem er sich als STO (Service de Travail Obligatoire, verpflichteter Zivilarbeiter) ausgab, um moralisch den jungen Männern zu helfen, die auf den verschiedenen Baustellen der Stadt arbeiteten. 

Die Abkürzung: J. O.C. bedeuet Jeunesse Ouvrière Catholique.
Das Haus der Nonnen befand sich nicht sehr weit von der Diesterwegschule entfernt. Es war ein großes Haus ohne Kirche, nur mit einer kleinen Kapelle an dem Ort. Ich erinnere mich nicht mehr an die genaue Entfernung.
Was die Vorführung des Films "Le Grand Reich" betrifft: Er war auf französisch übersetzt. Er berichtet über die Hitlerzeit , den Einmarsch der Truppen in Paris und eine Menge von Franzosen, die dabei Beifall klatschten (das war nicht war) und über die Okkupation in ganz Frankreich.
Francois Chamard, aus Nordfrankreich, war kein Mannheim-Deportierter. Er ist auf die gleiche Weise heimlich wie Jean Bourdon nach Mannheim gekommen als angeblicher STO, um gleichermaßen den jungen Leuten zu helfen.


Mein Kamerad Emile Bauer ist ein Mannheim-Deportierter. Wir waren im gleichen Zimmer bis zu dem Tag wo er ins Lager Düsseldorf in Mannheim verlegt wurde.

Lager Düsseldorfer Straße in Mannheim-Rheinau