Zwangsarbeit im Rhein - Neckar - Raum. Ein Projekt an der IGMH

       


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Diesterwegschule 2

 

 

 

 

François Braunn




aus Moyenmoutier bei Saint-Dié
gestorben 2006



Zwangsarbeit bei Lanz, Mannheim
Lager: Diesterwegschule

 

 

 

François Braunn beim Interview im Haus von Herrn Chapelier, Sommer 2002

Verschleppung von Moyenmoutier nach Mannheim

Am 8.November regnet es, es ist windig, der Schnee schmilzt... Um 7 Uhr morgen trommelt der Tambour in den Straßen, es ist der Korporal Baya: „Aufforderung an die Bevölkerung. Alle Männer zwischen 14 und 60 müssen sich mit warmer Kleidung auf den  Dorfplatz begeben, Lebensmittel für 48 Stunden, um Arbeiten 15 km von der Front zu machen. In unserer Familie packen wir den Rucksack, Regenschutz, zwei Thunfischdosen und ein deutsches Brot, anderthalb Kilo: mein Vater, mein Bruder und ich. Als wir an dem Platz ankommen, finden wir alle andern Männer der Gemeinde. Wir werden von den Deutschen in Dreierreihen aufgestellt. Sie haben MGs, Blechschilde der Feldgendarmen, ein Offizier, möglicherweise Major steht auf der Mauer vor dem Rathaus und gibt Befehle, verhandelt mit Autoritäten der Gemeinde. Der Tambourkorporal kommt von seinem Rundgang zurück mit der Trommel vor dem Bauch. Sie nehmen es ihm weg und stellen ihn ohne weiteres in unsere Reihe, ohne Rucksack, ohne Mantel. Während sie uns zählen und wieder zählen, bringt ihm seine Frau das Notwendigste.
„Eins, zwei, drei!  Zu jung! Zu alt! Weg, krank, weg...“

Dann Fußmarsch über St.Jean d’Ormont, La Petite Fosse und gegen 18 Uhr nach Provenchères.

 

 Es wird schon dunkel, man bringt uns in eine Fabrik, wo sich schon alle Männer von Saint-Dié befinden. Überall auf dem Boden steht Wasser, wir steigen auf die Webstühle. Und gegen 22 Uhr verlädt man uns in die Waggons.
Der Zug zittert und fährt ganz langsam in die Nacht hinein. Zugfahrt über Saales, Rotau, Schirmeck, Mützig gegen 6 Uhr morgens, wo wir aussteigen müssen. Wir werden den ganzen Tag über in den Kasernen an der Straße nach Straßburg untergebracht. Wohin geht es weiter? Gott allein weiß es.
Gegen 17 Uhr steigen wir wieder in die Waggons, mit einem Kommissbrot für jeden, und einem Marmeladentopf für 20 fahren wir aufs Neue los in die Nacht. Wir überqueren den Rhein bei Rheinau (Straßburg). Wir haben uns mehr oder weniger gut eingerichtet, völlig durchnässt. Die Älteren rollen sich ihre Zigaretten, wenigstens die, welche Papier haben.
Und gegen 7 oder 8 Uhr morgens kommen wir in einer Stadt an: Mannheim Hauptbahnhof.
Was sehen wir: Ruinen, Ruinen. Auf Mauerzügen und auf noch stehenden Gebäuden die Parolen: „Der Führer befielt, wir folgen!“  „Sieg um jeden Preis!“ „Sieg Heil!“ usw.

Ankunft in Mannheim

Wir steigen aus den Waggons und werden zu einem überdeckten Platz (?) geführt. Wir werden von einer Art Rotem Kreuz empfangen, das uns eine Haferflockensuppe ausgibt oder etwas Ähnliches, auf jeden Fall ein wenig bitter.
Und da vor einer Reihe deutscher Zivilisten, mit einem kleinen Hut. Wir werden aufgeteilt nach Berufen, die Bäcker gehen dahin, die Mechaniker dahin. Mein Vater, mein Bruder und ich, wir sind Maler, und andere Berufe, nach uns wird nicht nachgefragt. Wir gehen Richtung eines Stadtteils von Mannheim, wir gehen durch die Stadt, am Bahnhof vorbei, und man bringt uns in einem großen Gebäude unter, eine Art Schule außer Betrieb. Wie viele sind wir noch? 200, 300?
Dann gegen 19 Uhr Sirenenalarm. Wir verstehen schnell: ein Bombenangriff, denn seit 1942 sind zu Hause die alliierten Flugzeuge über unser Köpfe hinweggeflogen. Ich sage nichts von der Panik, die uns jetzt ergreift, welcher Galopp! Auf zu einem Bunker, zusammen mit deutscher Bevölkerung, Frauen, Kinder, Ausländer, jedermann rettet sich und rennt... Zum ersten Mal in meinem Leben komme ich in einen dieser berühmten Bunker, eine Betonmasse 30 oder 40 Meter hoch.
In der Nacht bringt man uns zu einem anderen Gebäude, die uns so bekannte Diesterwegschule, man schließt uns ein in Zimmer und Säle, wo schon Pritschen aufgestellt sind: für jeden Mann ein Bett. Es ist dunkel, es ist kalt. Eine dünne Decke liegt da auf einem Strohsack, und alle schlafen.

 

Zwangsarbeit in der Fabrik Lanz 

(heute John Deere)

Am nächsten Morgen werden wir in eine Fabrik gebracht ohne unsere Bündel, die wir in unseren gut verbarrikadierten Zimmern gelassen haben.


 Erneut ist es nötig, dass wir aufgeteilt werden, mein Vater, mein Bruder und ich und andere dazu kommen in die Gießerei.
Dort muss ich zwei Monate lang, im November und Dezember Panzermotoren abmontieren, das war zusammen mit einem Polen, einem Badoglio, - das war ein italienischer Soldat, der nicht mit den Deutschen weiterkämpfen wollte, - und mit meinem Vater.
Von 7 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, schwarz, schmutzig; meine kleine schwarze Schüssel und den Löffel in der Tasche, um in einer halben Stunde Pause eine widerliche, aber dennoch essbare Gemüsesuppe zu verzehren, mit Erbsen oder Linsen oder Rüben oder Kartoffeln. Sie wird von russischen Frauen in einer Halle ausgegeben, die mehr als tausend Menschen aufnehmen kann.

Mitte Januar funktionieren als Folge der Bombardement die beiden Martinöfen nicht mehr.  


Wir verlassen die Fabrik Lanz...

Das Lager Diesterwegschule

Wir richten uns ein.
In unserer Abteilung befinden sich wirklich alle Gendarmen und Polizisten von Saint-Dié.
Abends nach der Fabrik, Duschen nach den Deutschen, oft mit kaltem Wasser mit Waschpulver, das die Haut angreift.

Straßenfront der Diesterwegschule

Das Leben im Klassenzimmer, wohin wir nach 18 Uhr zurückkehren, verläuft mit einer Suppe, die ein wenig besser als die von der Fabrikküche ist, mit einem kleinen Margarinewürfel und einer Scheibe Mortadella oder Salami. Wir esse mit großem Appetit.
Zwei Kameraden, die an Motoren arbeiteten, Germain Laurent und Joseph Hoblinger, besorgten Dieselöl und bastelten mit einem kleinen Docht kleine Nachtlichter.
Mindestens einmal in der Woche gab es einen Bombenangriff oder Alarm, und da musste man, die gesehen haben, die ihr Essgeschirr stehen ließen, um zum etwa 200 Meter entfernten Bunker zu rennen. Man musste aufpassen nicht die Treppe hinunterzufallen, denn jeder rannte, wie er konnte.

 

 

 

 

Andere Arbeitsplätze, andere Arbeit

Wir sind in Gruppen zu Aufräumungsarbeiten in der Stadt gebracht worden. Eines Tages hat man uns, wir waren etwa zwanzig, nach Ludwigshafen zur IG-Farben gebracht. Dort angekommen, graben wir, wir graben wofür? Worum geht es... Da gibt es eine Überraschung! Die letzten Spatenstiche gehen in die Hinterflügel einer nicht explodierten Bombe. Niemand wollte mehr in dieses Loch hinuntersteigen. Diese Arbeit machen dann braungekleidete Spezialisten, die uns folgen.
Ein anderes Mal ist es am Rand der Autobahn von Mannheim nach Heidelberg, wo wir kleine Gräben ausheben bei mindesten minus 20 Grad. Das war hart, mindestens 30 cm hart wie Beton, bis man auf weiche Erde stieß. Und wie war es kalt unter dem Wind.
Am Abend kamen wir in die Diesterwegschule heim, wo wir uns aufwärmten, und immer, immer wieder: Voralarm! Vollalarm! Die Sirene, der Bunker, die Brände überall in den noch stehenden Gebäuden. Und alle werden versammelt in Gruppen, um Mehlsäcke oder Gerstensäcke von einem Lager zum andern zu transportieren oder um andere Aufräumungsarbeiten zu machen.
Dann eines Tages, in einer Gruppe von etwa 100 Männern, gehen wir nach Richtung Rheinau (nach Schwetzingen), zu einem Eisenbahnausbesserungswerk. Dort fragt man, wer an den Schienen arbeiten will und wer in den Werkstätten.
Ich und mein Bruder arbeiten nachts mit einem Meister, um kleine Reparaturen an Lokomotiven zu machen.
Am 25. März, mit dem Bündel auf dem Rücken, gehen wir los, sind wir 200, 300 oder 400? Wir brechen auf Richtung Heidelberg, wo wir gegen 8 Uhr morgens ankommen.

Conny Högner interviewt Herrn Braunn

 

Die Fortsetzung dieser Erinnerungen sind im Heidelberg-Jahrbuch 2002/03 abgedruckt worden. Sie liefern den Beleg dafür, dass auf dem Heidelberger Güterbahnhof  Zwangsarbeiter erschossen worden sind. Das ist an dort abgestelltenWägen mit Lebensmitteln passiert. Herr Braunn ist nur mit Glück diesem Schicksal entgangen.

 

 

 

 

 

Marcel Riotte





Arbeit bei Lanz
Lager in der Diesterwegschule

 

Marcel Riotte während eines Besuchs in Mannheim 2003

Verschleppung aus Saint-Dié
Bei der Verschleppung war ich 20 Jahre alt. Mein Vater war Landwirt, es war eine Zeit noch ohne Maschinen. Ich arbeitete auf dem Hof meiner Eltern am Stadtrand von Saint-Dié. Das Haus wurde beim Stadtbrand nicht zerstört.

Da wo ich heute lebe, sieben Kilometer von Saint-Dié, in Saulcy, dieser Ort wurde ganz zerstört bis auf ein oder zwei stehen gebliebene Häuser.


Unterkunft in der Diesterwegschule


Ich war bei Lanz und mit Quartier in der Diesterwegschule. Ich weiß aber die Nummer des Klassenzimmers nicht mehr. Das war im Erdgeschoss im selben Stock wie die Wachleute. Es gab da Wachleute, das war zum Zweck uns mindestens ein wenig zu beherrschen.
Meine Freunde waren nicht mit mir im gleichen Klassenzimmer. Ich weiß nicht, wie das kam, ich war zusammen mit den Polizisten von Saint-Dié. Und der Polizeikommissar, er hieß Charlot, konnte fliehen. Ich habe sie darüber reden hören, denn sie erzählten uns anderen nicht alles. Die Polizisten gingen auch arbeiten. Es gab welche, die in der Lagerküche gearbeitet haben, aber nicht alle taten das.

 

 

 

 

 

Arbeit bei Lanz (heute John Deere)

Ich arbeitete an den Öfen, um die Werkstücke nass zu machen. Das waren große mit Gas betriebene Öfen. Das Gas kam aus Zweibrücken. Wenn es einen Bombenangriff gab, stoppte die Produktion automatisch. Wir mussten dann Reparationsarbeiten machen, um dann später an die Öfen zurückzukommen. Das Gas kam von einer Kokerei in Zweibrücken, wenn die Verbindung unterbrochen war, gab es kein Gas mehr.
Es war keine allzu schwere Arbeit, weil ich zu arbeiten gewohnt war. Das ging von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Samstags und sonntags wechselten wir uns ab: Da arbeiteten wir jeweils sechs Stunden im Wechsel. Also musste man auch am Sonntag arbeiten, abwechselnd.
Nur wenn es die großen Bombardements gab, machten wir andere Sachen. Wir wurden an anderen Orten eingesetzt, wir reparierten etwas. Da gab es Spezialisten und wir halfen ihnen.

John Deere Tor 2

Tor 2 von John Deere in Richtung Diesterwegschule. 

Durch dieses Tor marschierten wahrscheinlich die französischen Zwangsarbeiter auf das Lanz-Gelände.

F : Gab es einen deutschen Vorarbeiter ?
Ja, es gab einen schon älteren Deutschen, der war im Ersten Weltkrieg gewesen, und dann noch einen Tschechen, der etwas älter war als ich, ein großer Kerl. Der hat mir damals gesagt : Als er 20 war, habe er 120 Kilo gewogen, jetzt war er sehr abgemagert. Er war ein Facharbeiter, er gab uns die Anweisungen. Er konnte kein Französisch, wir sprachen ein wenig deutsch.

F : An den freien Sonntagen haben Sie die Schule verlassen? Ja, wir konnten spazieren gehen. Und manchmal gingen wir abends in ein Restaurant um ein « Stammgericht » zu essen. Das gab es ohne Lebensmittelmarken, ohne die konnte man sonst nichts kriegen. Wir hatten manchmal ein wenig Geld, weil sie uns Arbeitsanzüge und Schuhe zum Arbeiten gegeben hatten, und die mussten wir bezahlen. Das waren Holzschuhe.

F : Die Kleider waren also kein Problem ?
Ich hatte welche von zu Hause mitgenommen, da versuchte man ein wenig Haus zu halten, zu flicken, wenn es ein Loch gab.