Zwangsarbeit im Rhein - Neckar - Raum.  Ein Projekt an der IGMH

     


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Heidelberg - Kirchheim

 


Marcel Clément




Geboren 1928 in Raon l'Etape
Er gehörte zu den jüngsten Deportierten.


Zwangsarbei: Heidelberg,  Waggonfabrik Fuchs

Lager: Alte Schule Kirchheim

Verschleppung aus Raon

Als wir weggegangen sind aus Raon l’Etape, da war ich sechzehneinhalb Jahre alt. Das ist auf  eine merkwürdige Art abgelaufen:
 Meine Eltern wohnten eine Straße weiter oberhalb. Und es fielen Granaten, die Front war ja schon ganz nah. So waren auch Splitter auf das Haus meiner Eltern gefallen. Ich war am 8.November morgens mit so einem Karren unterwegs: Ich ging damit Ziegel holen bei den Nachbarn, damit wir die Löcher auf dem Dach flicken konnten.

 

 

 

Und da haben die Deutschen mich auf der Straße verhaftet.  Ich hatte einen Pullover oben drüber, das war alles. Ich habe den Karren in den Straßengraben gestoßen, dann haben sie mich weggeführt. Wir waren dann alle im Arsenal, [einem großen Gebäude in der Stadtmitte], versammelt.

 

Ich bin die gleiche Strecke mit, über Cirey usw. Meine Eltern haben nichts gewusst, so bin ich weggekommen..
Unterwegs hatten wir jeden Tag zwei Enden Brot bekommen, das war alles.

Transport nach Heidelberg

Ich erinnere mich gut an den Bombenalarm in Mannheim am 11. November um 11 Uhr, das hat mich beeindruckt.
Wir sind durch Mannheim gefahren, da habe ich gesehen, dass Mannheim ein Steinhaufen von zwei Metern Höhe war, und dann so große Schriftzeichen: "Siegt für uns!"


Personalausweis von Marcel Clément von 1944

Ich bin mit allen anderen nach Heidelberg gekommen und da ich zu jener Zeit noch keine Berufsausbildung hatte, bin ich unter den letzten zurückgeblieben, die zur Arbeit abgeholt worden sind.

 

 

 

Arbeit in der Waggonfabrik Fuchs

Ich kam also nach Kirchheim zur Waggonfabrik.
Und meine Arbeit bestand damals in folgendem: Die Deutschen machten dicke Betontürmchen, in deren Mitte man Vierfach-MGs stellte. Also sie brachten mir das MG heran und ich befestigte den Fuß des MGs mit einem Bolzen auf dem Beton.
Es gab da auch Russen, die in der Fabrik arbeiteten.
F: Keine Deutschen?
Nein, nun ja, es gab einen deutschen Chef für uns. Er stellte seine Suppenschüssel in eine Ecke für uns, mit dem Rest seiner Mahlzeit, ein klein wenig.

 

Das Lager im Alten Schulhaus in Kirchheim

Das war kein Lager, wir waren in Kirchheim in einer Schule. Wir waren in einem Raum. Wir waren nicht eingesperrt. Abends gab es den Befehl: „Licht aus!“
Der Schlafraum war ein Klassenzimmer mit den Franzosen. Es waren da nur die Leute aus Raon. Und damals war ich noch keine 17 Jahre alt und sie waren 50 oder 55 Jahre alt, sie waren alte Leute für mich wie meine Eltern. Ich habe da gelitten, als wir in Kirchheim waren. Wir waren zusammen in einem Raum zu vierzig ungefähr, 40 bis 45, untergebracht in dreistöckigen Pritschen. Ich habe sehr unter dieser Enge gelitten.
Abends weinte ich oft in meinem Bett... Es war eine sehr, sehr schwere Zeit. Als wir heimkehrten war es unmöglich für mich in einen normalen Bett zu schlafen. Ich konnte das nicht. Anfangs gingen die Strohsäcke noch einigermaßen, aber am Schluss war das nur noch Staub.
Nachts hätte man geglaubt, dass wilde Tiere im Raum seien, das schnarchte aus allen Ecken..
 Ich habe Ungeziefer und Flöhe bekommen. Und es gab nur einen Wasserhahn für die vierzig, um sich zu waschen, ein einziger Wasserhahn!


Schließlich habe ich noch gelitten wegen der Kleidung, ich hatte nichts dabei und es war Winter. Ich weinte oft, weil ich fror und weil ich Hunger hatte.


Diese Zeit hat mich für mein späteres Leben gezeichnet.
F: Waren Sie der jüngste?
Nein, es gab jüngere als mich.
Ich wiederhole, diese Zeit hat mich gezeichnet, gehärtet für mein Leben. Diese Zeit in Heidelberg war eine schwere Zeit für mich, ich war jung – eine sehr schwere Zeit. Ich wusste nicht, was aus meiner Familie geworden war, ob sie bombardiert worden waren... 

 

Es war die Hölle.

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf der Arbeitskarte von Marcel Clément ist vermerkt: "flüchtig"

 

Das Alte Schulhaus  in Kirchheim ist heute Heimatmuseum. Trotzdem erinnert darin wohl nichts an diese seine Vergangenheit als Zwangsarbeiterlager für die Vogesenleute, die wahrscheinlich auch schon andere Zwangsarbeiter als Vorgänger in diesem Gebäude hatten.

Essen

Es noch ein Unglück war: Ihr wisst, mit 16, 17 Jahren esst ihr viel: Wir hatten nichts zu essen.
Morgens gab es keinen Kaffee, kein Frühstück, es gab überhaupt nichts. Und auch abends gab es nichts. Es gab ein Essen zu Mittag, so etwas wie Fleischklößchen in einer Art von Suppe, das war alles. Das war die Mittagssuppe... Es gab eine Suppe zu Mittag, abends gab es nichts.
Mit Picard ging ich stehlen in einer Bäckerei. Damals durfte man doch kein Licht machen. Also warteten wir an der Bäckerei bis niemand mehr da war, alle waren hinausgegangen. Denn es gab da außen so Schutzwände, die den Eingang sicherten. Die Bäckersfrau war in ihren Raum gegangen, ich weiß nicht wohin. Da stürzten wir uns beide hinein, - , einer klaute also Brot und wartete, der andere verlangte Brot, dann zahlte er es, dann gingen wir gemeinsam hinaus.
Man schlug sich so durch und organisierte Kartoffeln, die man zum Garwerden stückweise an den Ofen klebte. Wir gingen aus der Stadt heraus auf die Bauernhöfe, um Kartoffeln zu organisieren, aber nicht oft, nicht oft.
F: Hatten Sie Geld bekommen?
Nicht viel, nicht viel, praktisch nichts. Wir bekamen auch ein oder zweimal ein wenig Kleidungsstücke, Pakete, ein wenig Geld aber nicht viel.
Ich erinnere mich, wir hatten einen Lohn, der es erlaubte Brot zu kaufen. Es gab damals das Schwarzbrot und das Weißbrot, das wir am Sonntag aßen.

 

Fluchtversuch
F: Auf Ihrem Dokument sind Sie geflohen, da steht das Wort „flüchtig“.
Ja, wir sind abgehauen. Wir waren vier. Wir sind an Heiligabend geflohen, wir haben diese Festtage benutzt. Wir sind von der französischen Miliz gefasst worden, ich weiß nicht, wo das was. Wir waren vier Tage lang unterwegs. Wir haben in Rübensilos geschlafen, in den Scheuern...
Wir sind gefasst worden, weil wir in der Nacht in kleinen Gartenhäuschen geschlafen haben, da hat uns die Miliz erwischt. Aber es ging gut aus, denn wir sind nicht verhaftet worden. Wir sind einfach zum Arbeitsplatz zurückgekehrt, es gab keinerlei Folgen.

 

 

Roger Colin



Geboren 1924 in Raon l'Etape


Zwangsarbeit in der Waggonfabrik Fuchs

Lager: zuerst Alte Schule Kirchheim,
dann Halle in der Fabrik, dann unbekanntes Barackenlager wohl auf dem Fabrikgelände

Verschleppung
Zu diesem Zeitpunkt wohnte ich in Raon.
Wir hielten uns in den Kellern auf, und die Deutschen sind in den Keller gekommen und haben uns mitgenommen in ein Gebäude weiter unterhalb, das Arsenal, direkt an der Straße nach Celles. Und da war ich mit einem Kameraden zusammen, der dieses Gebäude sehr gut kannte. Er sagte zu mir : «Wir werden uns im Keller verstecken ! » Dann haben die Deutschen unsere Kollegen in LKWs verladen. Es war zu Ende, aber leider haben sie uns dann in unserem Versteck im Keller gefunden. Und da haben wir zu Fuß bis Celles laufen müssen, das war nur eine Gruppe, die andern waren ja mit LKW fort. 

Als wir in Celles ankamen brachten uns die Einwohner etwas zu essen. Wir sind dann direkt nach Badonviller weiter zu Fuß. Da wurden wir in den Keller der Schule einquartiert. Da war gar nichts, kein Stuhl, keine Möglichkeit sich auf etwas zu legen. Ein Elsässer machte den Dolmetscher und sie haben einige Jungs heimgeschickte, die noch nicht 16 waren. Ich war 20.

Am nächsten Morgen sind wir weiter nach Cirey, das war jetzt eine große Gruppe. In Cirey haben wir wieder in einem Keller übernachtet. 

Und am nächsten Morgen sind wir weiter … nach Héming, wo ein Zug wartete, in den wir einstiegen, und dann sind wir abgefahren Richtung Deutschland.

 

 

 

 

 

 

Ankunft in Heidelberg

Ich erinnere mich gut : es war der 11.November, das ist ein nationaler Feiertag bei uns, da wurde der Zug angehalten auf der Brücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen, weil es einen « Fliegeralarm » gab, während dem wir auf der Brücke stehen blieben.

Die Deutschen habe nichts gesagt, wo es hingehen soll. Sie haben nicht mit uns gesprochen. Ich hatte deutsch gelernt, hochdeutsch, aber sie sprachen Dialekt. Sie waren von der Wehrmacht, aber bei der Abfahrt hat man auch SA-Leute unter ihnen gesehen. Das waren SA-ler, wie man uns sagte. Wir wurden in einem Universitätsgebäude eingesperrt, wo wir uns auf den Boden legen mussten. Einige hatten Stroh, aber die Mehrheit war auf dem Boden. Das war ein großer Saal, auf der linken Seite vom Eingang aus.
Danach wurde ich der Fuchs-Waggonfabrik in Kirchheim zugeteilt.

Heidelberger Marstall, damalige Uni-Turnhalle. Sie war das erste Quartier für die Franzosen aus den Vogesen.

 

 

Alte Schule in den 1920er Jahren

 

 

Lager Alte Schule Kirchheim

Zunächst wurden wir in einer Schule untergebracht.
Die Situation in der Schule war schwierig. Manche hatten ein wenig von einem Strohsack, ich lag oben.
Es gab eine Invasion von Flöhen und wir hatten nichts, um uns dagegen zu schützen. Es gab nur von Zeit Wasser. Da war ein Wasserhahn, aber wenn er ging, blieb nicht viel für jeden. In den Räumen standen Stockwerkbetten.
Aber ich bin nicht lange dort geblieben. Denn sie hatten mich angefordert, weil sie gesehen hatten, dass ich einige Kenntnisse als Mechaniker hatte. Da haben sie mich als LKW-Fahrer eingesetzt. Und dabei war ich mit einigen ehemaligen Kriegsgefangenen zusammen, die sich hatten umwandeln lassen in zivile Zwangsarbeiter.
In der Schule bin ich also nicht lange geblieben. Es gab keinen Platz, ein Raum für die eine Gruppe, einer für die anderen. Man hockte sehr aufeinander.

 

Arbeit als LKW-Fahrer

Mit einem dieser ehemaligen Kriegsgefangenen war ich als LKW-Fahrer tätig. Mit ihm hatte ich die Gelegenheit, Mannheim zu sehen, denn wir haben mit dem LKW Gasflaschen geholt und sind auf der Autobahn von Flugzeugen beschossen worden. Wir haben das Auto stehen lassen und haben uns in die Felder geflüchtet. Danach ist es uns gelungen, den LKW zum Laufen zu bringen und wir sind nach Kirchheim zurück.

Letzte Reste der Waggonfabrik 2004

Weitere Lager
Bei dieser neuen Arbeit (als Fahrer) war ich mit einigen ehemaligen Kriegsgefangenen zusammen, die sich hatten freisetzen lassen (d.h. sie waren keine Kriegsgefangenen mehr, sondern zivile Fremdarbeiter). Sie waren im Innern der Fabrik untergebracht, es gab da große Hallen. Da bin ich bis nach Weihnachten geblieben. Denn ich erinnere mich, ein sehr kaltes Weihnachtsfest erlebt zu haben. Wir hatten da keine Heizung, das war nur ein Glasdach, was darüber war. Es war eine Fabrikhalle, die Kriegsgefangenen benutzt worden war und die waren jetzt vom Kriegsgefangenenstatus freigesetzt geworden. Später haben sie für uns Baracken montiert, nicht weit von der Fabrik, auch in Kirchheim. Und in diesen neuen Baracken wohnten wir dann. Die konnte man heizen, wenn man etwas hatte. Wir nahmen ein wenig Kohle aus der Fabrik mit. Und wir gingen sogar in den Wald, um dort Holz zu holen. Da ging es mir gut mit dem Chauffeur, einem Deutschen, mit dem ich arbeitete. Er nahm mich mit, um Holz zu machen im Wald. Das Holz war im Prinzip für ihn, aber er ließ uns auch  mit Holz weggehen.
In dieser Kriegsgefangenenbaracke waren es dreistöckige Betten. In der Baracken war es besser als in der Schule. Es war auch Platz vorhanden.

Im übrigen: mit diesen Gefangenen zusammen gelang es, sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Was wir oft machten, das war ein «Stammgericht » essen zu gehen, eine Mahlzeit ohne Marken. Das war vor allem Kohl, Rotkohl und so was.
Unter diesen ehemaligen Kriegsgefangenen war ich der einzige aus den Vogesen. Sie waren gut organisiert, sie kannten die Deutschen sehr gut, sie verständigten sich sehr gut auf deutsch. 

Das erlaubte ihnen Kontakte und viel mehr Möglichkeiten, als wir sie hatten.

 

Verpflegung und Kleidung

Zu Mittag waren wir in der Fabrikkantine. Das war nicht viel, es gab Kohl, eine Suppe. Danach hat man Marken gehabt, auch das nicht viel. Aber es gab da eine Bäckerei, die uns ein wenig mehr von dem Brot gegeben hat, als man normalerweise bekommen hätte. Abends machte man sich etwas, aus dem was man hatte, morgens ebenso. So eine Art Suppe. Sonntags machten wir uns Mahlzeiten in der Baracke. An Kleidern hatten wir das, was wir mitgebracht hatten. Wir haben « Holzschuhe » bekommen und überdies hatte ich meinen Überzieher. Ich habe alles mit diesem Überzieher durchgestanden.

 

 


Aufräumungsarbeiten in Bruchsal

Ein andermal wurden wir eingeladen, um in Bruchsal Aufräumungsarbeiten zu machen. Am Morgen sagte man uns : « Nehmt zu essen mit ! » Wir haben mitgenommen, was wir hatten und sind früh am Morgen mit dem Zug nach Bruchsal gefahren. Das erste Mal ist  es nicht gelungen, bis Bruchsal zu kommen, Rauch stand in der Luft, alles war zerstört, man konnte sich der Stadt nicht nähern. Also sind wir in der Nähe des Zuges geblieben und haben das angesehen. Abends sind wir zurückgefahren, und dann am nächsten Morgen wieder los. Da haben wir Aufräumungsarbeiten gemacht. Aber wir gingen am Bahnhof Bruchsal in die Gegenrichtung und haben uns in die Büsche geschlagen für den ganzen Tag. Mittags nahmen wir unsere Baskenmützen ab, damit wir zur Volksküche gehen konnten. Denn wegen des Bombenangriffs gab es für die Leute eine Suppenküche. Ein böser Deutscher hat uns von der Suppe weggejagt. Die meisten ließen uns in Ruhe, aber er teilte Schläge aus, um uns fortzujagen. Er rief : « Raus, raus ! », denn er wollte nicht, dass gerade wir von der Suppe bekamen.

 

 

 



 

 

 

 

Arbeit bei Bauern in Heidelberg-Kirchheim

 

Paul Duhaut aus Ancerviller, ein junger Mann des gleichen Transportes,  war auf dem abgebildeten Kirchheimer Bauernhof gelandet. 

Ihm ging es erheblich besser als den Zwangsarbeitern der Waggonfabrik.

 

 

 

Paul Duhaut, Landwirt in Ancerviller